"Kannst du vorne sitzen?", fragt der Uber-Fahrer Roland. "Es gibt viele Kontrollen", fügt er noch auf Spanisch hinzu. Uber ist nämlich illegal in Kolumbien. Stört aber keinen, die Kolumbianer fahren fleißig damit herum und natürlich auch die Touristen.
Weils sicherer und billiger ist und man nicht die Touristen-Abzocksteuer zahlen muss. So steigen auch wir um kurz nach 9:00 Uhr beim Flughafen von Medellín in das Auto von Carlos.
Zur Tarnung, damit es nicht so auffällt, soll sich Roland auf den Beifahrersitz setzen. Ich sitze hinten, neben mir unser gesamtes Gepäck. Im Kofferraum ist kein Platz, da hat Carlos seine Subwoofer drinnen.
"Wir sind Freunde"
....sollen wir antworten, falls uns die Polizei aufhält. Ok, alles klar. Wird schon nix passieren. "Ansonsten kann man die Polizisten auch sicher bestechen", denke ich mir noch.Carlos steigt aufs Gas. Ich versuche es mir auf der Rückbank zwischen dem ganzen Gepäck etwas gemütlich zu machen, da winken uns auch schon zwei Polizisten herbei. Wir sind gerade einmal fünfzig Meter gefahren.
"Ah, shit!....amigos!!!" will uns Carlos nochmal eintrichtern und deutet mit seinem Finger auf uns drei. Dann steigt er aus und zeigt dem männlichen Polizisten seine Papiere. Wir bleiben derweil im Auto sitzen. Wird schon net so schlimm werden denke ich mir noch und bin mir sicher, dass wir in drei Minuten wieder alle drei im Auto sitzen und Richtung unserer Unterkunft fahren.
Das Verhör beginnt...
"Hola buenos días", sagt die zweite Polizistin zu uns und deutet Roland an, er solle das Fenster runterlassen."Habt ihr Uber bestellt?" fragt sie uns gleich recht forsch. Wir stellen uns mal blöd. "Uber? Was ist das?"
"Nein", lügen wir. "Wir sind Freunde". Und dann gehts los: "Wie heißt der Fahrer?"
"Carlos".
"Wie noch?"
Jetzt kommt unsere Taktik Nr. zwei zum Einsatz: "Wissen wir nicht, wir sprechen schlecht Spanisch".
"Eure Pässe!" fordert uns die strenge Polizistin auf. Jetzt geht das ganze Verhör mit direkter Anrede weiter. In einem total ernsten Ton und mit einem durchbohrenden Blick löchert sie uns mit Fragen. "Regina, woher kennst du Carlos? Regina, hast du Uber bestellt?". Ich antworte nicht. Jetzt ist Roland dran. "Roland, hast DU Uber bestellt? Woher kennst du Carlos?" Roland versteht ab jetzt gar kein Wort auf spanisch mehr.
"Gemeinsamen Freund" lügen wir weiter. Es wird immer unangenehmer, ich kann der Dame schon gar nicht mehr in die Augen sehen. Keine Ahnung wie unser gemeinsamer Freund heißt, haben wir vorher (leider) nicht mit dem Uber-Fahrer besprochen. "Brooke", antworte ich ihr bereits etwas verzweifelt.
Wir haben das Gefühl, etwas ganz schlimmes verbrochen zu haben...als hätten sie gerade ein Kilo Koks in unserem Rucksack gefunden. Aber nein, wir haben ein Uber-Taxi bestellt.
Toll. Jetzt sitzen wir hier im Auto und wissen nicht, wie wir hier wieder rauskommen sollen. Roland und ich unterhalten uns kurz auf Deutsch, während die Polizistin wie ein scharfer Hund vor dem Autofenster lehnt. "Es hat keinen Sinn, wie sollen wir hier rauskommen?" sind wir uns einig.
"Gehen wir zu einem offiziellen Übersetzter. Ihr sprecht doch Englisch", schlägt die Polizistin jetzt vor. Ihr ist es natürlich auch aufgefallen, dass wir zu Beginn noch spanisch konnten und jetzt plötzlich nicht mehr.
"Sorry!"
"Euch kann nichts passieren. Euch trifft keine Schuld. Uber ist illegal in Kolumbien. Wir möchten nur, dass ihr ein offizielles Taxi nehmt" versichert sie uns...Roland und ich möchten aber trotzdem versuchen, den Fahrer nicht in einen unnötigen Schlamassel zu bringen. Aber dazu ist es jetzt wohl zu spät. Da hätten wir die Amigo-Geschichte vorher besser abstimmen müssen.Carlos, der Uber-Fahrer kommt kurz ans Fenster um einen weiteren Ausweis aus dem Handschuhfach zu holen. Er flüstert uns zu wir sollen sagen wir haben uns auf einem gemeinsamen Auslandssemester in Neuseeland kennen gelernt. "What? Das Lügenkonstrukt hinkt jetzt an allen Enden. Total unglaubwürdig."
Schweren Herzens antworten wir nach dem 10-minütigem Verhör mit Ja.
Ja, wir haben ein Uber bestellt. Und sofort lässt sie uns in Ruhe, gibt ihrem Kollegen Bescheid. Wir sind erlöst.
Roland und ich steigen aus. Ich murmle noch ein Sorry zu Carlos. Die Polizistin ist wie ausgewechselt, sie erklärt uns noch wie das mit den öffentlichen Bussen in die Stadt funktioniert, da wir ja etwas günstigeres als die offiziellen Taxis suchen. Sie bringt uns zum richtigen Bus, sagt dem Chauffeur wo er uns aussteigen lassen soll.
Was für eine Aufregung!
Später lesen wir im Internet, dass diese "illegalen" Uber-Fahrer hart bestraft werden: Einerseits hohe Geldstrafen. Andererseits (was wahrscheinlich viel schlimmer ist) konfisziert die Polizei teilweise die Autos und kassiert den Führerschein. Wir können nicht viel tun, außer dem Uber Support schreiben, was passiert ist und dass sie den Fahrer unterstützen sollen.Tja, das war unsere Ankunft in Medellín.
Comuna 13 - Der einst gefährlichste Stadtteil von Medellín
Lange galt diese Armensiedlung als absolute No-Go Area. Täglich kämpften Polizisten und Drogenbanden um die Vorherrschaft in der Comuna 13. Pablo Escobars Kartel war unter anderem für die Gewalt in diesem Stadtteil verantwortlich.Inzwischen hat Medellín den offenen Drogenkrieg hinter sich gebracht. Es ist ein relativ sicherer Normalzustand in die 2,5 Millionen-Stadt eingekehrt.
Freiluft-Rolltreppen bringen Aufschwung
Auch die Comuna 13 hat sich in den letzten Jahren erstaunlich entwickelt. Es gibt eine Menge Street Art dort zu bestaunen, die die gewaltvolle Vergangenheit des Viertels aufarbeitet.Einige Rolltreppen führen die steilen Hügel hinauf, was für die dort lebende (v.a. ältere) Bevölkerung eine unvorstellbare Erleichterung ist.
Diese escaleras sind auch das, was die Comuna 13 auszeichnet und womit sie international bekannt wurde. Mit den Rolltreppen und der Street Art ist auch der Tourismus in dieses einstige Kriegsgebiet gekommen.
"Nehmen wir die Kamera mit?"
So machen auch Roland und ich uns an einem Vormittag auf in diesen Teil von Medellín. Wir wissen noch nicht so recht, was uns dort erwartet...wie frei wir uns bewegen können. Die Kamera lassen wir zur Sicherheit mal daheim und nehmen nur unsere Handys mit.Wir fahren mit den ersten Rolltreppen hinauf und merken schnell: Unsere Sorge ist unbegründet. Es gibt sehr viel Polizei, sodass die Besucher nicht die vorgesehenen Wege verlassen.
Neben der Rolltreppe verkaufen die Locals Getränke und Eiscreme. Postkarten mit Graffitis, T-Shirts mit dem Schriftzug "Comuna 13" zieren die kahlen Hausfassaden und werden feil geboten. Alles wirkt "normal" touristisch. Damit hätten wir nicht gerechnet.
Nach der letzten Rolltreppe gelangen wir an einen Aussichtspunkt. Verschachtelt wachsen die Häuser aus dem Hügel, die Wellblechdächer glitzern in der Mittagssonne.
Lauter Latino Hip Hop dröhnt aus den roten Ziegelhäusern. Muskulöse Männer mit nackten Oberkörpern gehen durch die verwinkelten Gässchen der Siedlung. Kinder flitzen mit Fahrrädern um uns herum. Ein kleiner Bub bleibt stehen und fragt uns: "Kauft ihr mir ein Limo?"
Wir gehen vorbei an ein paar Leuten, die gerade ein Graffiti diskutieren und wie sie das Kunstwerk weiterentwickeln möchten.
Unbedingt ansehen!
Alle Graffitis befinden sich entlang einer Straße. Diese ist für Besucher gesichert. Am Ende der Straße steht Wachpersonal, damit kein Tourist auf die Idee kommt, einfach durch die Comuna 13 durch zu spazieren. Auch wenn es etwas abgeriegelt ist, finden wir es unvorstellbar spannend auch diese Seite von Medellín kennen zu lernen. Und der Tourismus schafft Einkommen für die Locals.Free Walking Tour - "The Infamous Criminal"
"I'm not gonna call him by the name. A lot of locals don't speak english and they just hear his name", Maribel räuspert sich kurz und erklärt uns weiter. "You know what these Colombians will think? That we just tell the tourist about him in our tours. All the tourists will associate Colombia with drugs. We don't want that. We have more than drugs".Alle Narco-Fans unter euch wissen bereits von wem wir sprechen. Maribel nennt ihn von nun an nur noch "the infamous criminal". Und sie erwähnt ihn oft bei unserer Stadttour durch Medellín, wenn sie von Bombenattentaten mitten im Stadtzentrum erzählt.
"Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo ich jeden Tag Schüsse gehört habe. Ich bin in einer Zeit von Angst aufgewachsen."Das Verhältnis der Kolumbianer zu Pablo Escobar ist gespalten. Junge Männer feiern ihn, sehen in als Vorbild. Einige halten es ihm noch immer zugute, dass er in einer Armensiedlung Häuser bauen ließ. "But how many houses you have to build for killing one person?", fragt uns Maribel mit einem scharfen Blick und verrät uns damit, was sie von dem Hype um Pablo hält. Anscheinend gibt es sogar Touristen, die auf seinem Grab eine Line ziehen und ein Foto davon posten.....
"Don't give papaya"
Das Zentrum von Medellín ist nicht gerade für seine große Sicherheit bekannt. Also immer schön brav seine sieben Zwetschken im Auge behalten.In Medellín lernen wir das Motto der Stadt kennen: "Don't give papaya" bzw. auf spanisch "No le das papaya".
Bitte was, keine Papaya geben? denkt ihr euch wahrscheinlich gerade. Nein, es hat nichts mit dieser exotischen Frucht zu tun. Es ist ganz einfach: Don't give papaya heißt man soll niemals seine Wertsachen unbeaufsichtigt lassen, herzeigen oder "leicht zugänglich" in Hosen- und Jackentaschen verstauen. Damit keiner der Mitmenschen auf die Idee kommt, sich fremdes Hab und Gut anzueignen.
In der Praxis sieht das so aus: Nicht mit einer Hand Selfie machen sondern sein Handy immer fest umschlossen halten. Kamera immer quer umhängen. Rucksäcke falls nötig vorne am Körper tragen.
Bei unserer Walkingtour einigen wir uns mit Maribel auf die Papaya-Level 1 bis 5. So will uns unser Guide den Grad angeben, wie sehr wir unsere Sachen im Auge behalten sollen. "In this street we have Papaya Level 3. Take care of your stuff. If you wanna take a picture, keep your camera in both hands."
Eine paar lustige Anekdoten aus der Tour
Einer von vielen köstlichen Momenten: Wir gehen an einer Kathedrale entlang. An der Kirchenmauer stehen unzählige fliegende Händler. Aber sie verkaufen nicht etwa Rosenkränze, Heiligenbilder oder andere religiöse Devotionalien. Nein, es sind die extremsten Hardcore-Pornos. Als DVD oder Zeitschrift. Direkt an der Kirchenwand. "We Colombians have our moral soap", erzählt uns Maribel mit einem Grinser im Gesicht. "We make our sins and then we go to the church and wash them of".Auch ganz lustig: Die menschliche Telefonzellen. Die Älteren von uns werden sich noch erinnern. Früher konnte man auch bei uns nur in bestimmte Netze günstig telefonieren. Das ist auch hier so. Uralt-Modelle ala Nokia 7210 sind mit Wolle am Bauchkörbchen der Telefonfrau angebunden... Für 100 Pesos kann man telefonieren falls der Anzurufende das "falsche Netz" hat.
Botero ist wohl der berühmteste kolumbianische Künstler. Seine dicklichen Figuren an bestimmten Stellen zu berühren bringt Glück. Ratet mal welche Stelle es bei diesem römischen Legionär ist.
Must-do in Medellín: Fußballspiel
"If you have time tonight, go to the futbolmatch", legt uns Maribel am Ende der Tour nochmals nahe. Kolumbianer sind richtig fussballnarrisch und das ist eine Attraktion hier. Roland ist natürlich gleich hellauf begeistert und erkundigt sich bei ihr, wo das Match stattfindet.Ein paar Stunden später sitzen wir auch schon auf der Tribüne, mitten im Fansektor in der Südkurve. Medellíns Heimmanschaft Atletico Nacional gegen die Jaguares de Córdoba steht an.
Alles ist noch ruhig und still. Im Hintergrund sehen wir wie auf den Hügeln die ziegelroten Häuser langsam zum Leuchten beginnen, während immer mehr Fans ins Stadion strömen.
"Soy del verde - verde soy yo"
Tja, was soll ich sagen. Komplette 90 Minuten spielt eine Blaskapelle und die Fans brüllen sich bei ihren Atletico-Schlachtgesängen die Seele aus dem Leib. Auch Roland und mich stecken sie an. Wir singen mit, so gut es geht. Eine Wahnsinnsstimmung!Guatapé, eine tierisch bunte Stadt
An unserem letzten Tag in Medellín machen wir einen Tagesausflug nach Guatapé, einem kleinen Dörfchen zwei Stunden außerhalb von Medellín. Weil wir zu faul sind auf eigenen Faust hinzufahren, buchen wir eine Tour in das kleine Örtchen. Es stellt sich heraus, dass es eine typische Butterbrotfahrt ist. Zig Stationen zum Souvenir shoppen erwarten uns. Und ein paar andere Sehenswürdigkeiten klappern wir auch noch ab.![]() |
Bei einer Bootsfahrt fahren wir an einer ehemaligen Villa von Pablo Escobar vorbei. Diese wurde von feindlichen Drogenkartellen ausgebombt und steht seitdem so auf dem Grundstück. |
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Zum Piedra de Peñol geht es knapp 700 Stufen rauf.... |
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.... der Ausblick ists aber auf alle Fälle wert. |
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Guatapé ist farbenfroh |
Schaut aus, als würde jeder Bewohner in Guatapé sein Haus mit seinem Lieblingstier- oder Symbol verzieren.
Adiós, Medellín!
Jetzt ist es Zeit für Landluft. Wir machen uns auf den Weg in die Zona Cafetera und schwingen uns mal wieder aufs Mountainbike. Mehr dazu in Kürze.
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